Kolloquium Metapher und philosophischer Diskurs: die Kontroverse zwischen Ricœur und Derrida


Du bist mein Morgenstern.“ Ob wir es wollen oder nicht: Metaphern bestimmen unser alltägliches Reden. Wir sind in der Lage, ihren Sinn zu verstehen und sie produktiv einzusetzen. Der Unterschied zwischen lebendigen und toten Metaphern macht uns in der Regel keine Schwierigkeiten. Wir wissen, was gemeint ist, wenn – beim Skifahren – von einem Stern oder – zu Weihnachten – von einem Zimtstern die Rede ist. Für Ricœur ist es der Kontext des Satzes, der uns das Verstehen ermöglicht.

Metaphern spielen ihre eigene Rolle in den Wissenschaften und nicht zuletzt in der Philosophie. Die alte Feindschaft zwischen Rhetorik und Philosophie flackert neu auf, wenn Heidegger die metaphorische Rede mit dem metaphysischen Denken verbindet. „Die Metapher – auch darin dem Abendland zugehörig – zieht sich zurück, sie ist an ihrem Lebensabend angelangt“, konstatiert Jacques Derrida in seinem Aufsatz „Der Entzug der Metapher“, nachdem er zuvor sein „Erstaunen über die Tatsache, daß ein offensichtlich so altes Thema, eine offensichtlich so ermüdete und verbrauchte Person [...] seit einigen Jahren wieder zurückkehrt und mit so viel Kraft und Nachdruck die Szene [...] auf eine, wie mir scheint, ziemlich neue Weise wieder okkupiert“, artikuliert hatte. Auch heute, 21 Jahre nach Derridas Genfer Vortrag, meldet sich die Metapher, diese „so ermüdete und verbrauchte Person“, nach wie vor im philosophischen Diskurs mit Nachdruck zu Wort; einen kleinen Hinweis darauf kann man etwa in dem 1998 von Anselm Haverkamp herausgegebenen Sammelband Die paradoxe Metapher erblicken. Grund genug, sich mit einer exemplarischen Kontroverse zu diesem Thema auseinanderzusetzen, nämlich der Debatte zwischen Paul Ricœur und Jacques Derrida, die in den Jahren 1975/1978 stattgefunden hat. Diese Diskussion hat zwar einen klar eingegrenzten Fokus – es geht nicht um die Metapher schlechthin, sondern um die „Metapher im philosophischen Diskurs“ –, zur Debatte stehen aber letztlich die Eigenständigkeit des philosophischen Diskurses („Der spekulative Diskurs [hat] seinen Anfang in sich selbst und [findet] das Prinzip seiner Artikulierung in sich selbst“, so Ricœur) und die Frage, was die Philosophie (auch hinsichtlich der Selbstaufklärung in bezug auf ihre eigenen Voraussetzungen) zu leisten vermag.

         

Zeit/Ort

15. Mai 1999, 10–12, 14–17 Uhr; Institut für Philosophie, 1010 Wien, Universitätsstraße 7 / 3. Stock, Hs. 3A

        

Leitung

 Franz Prammer, Ulrike Kadi

        

Programm

10–12 Uhr 1. Einführung (Referat): Wie funktioniert die Metapher? Ricœurs semantisches Konzept

2. Textlektüre 1 (Ricœur 1986, S. 252–273): Ricœur referiert (Heidegger und) Derrida (Diskussion)

14–17 Uhr 3. Textlektüre 2 (Derrida 1998): Derrida antwortet Ricœur (Diskussion)

4. Textlektüre 3 (Ricœur 1986, S. 273–285)

5. Schlußdiskussion

        

Lektüre-Texte

– Paul Ricœur, „Metapher und philosophischer Diskurs“, in: ders., Die lebendige Metapher, München 1986, S. 252–304, bes. S. 252–285.

– Jacques Derrida, „Der Entzug der Metapher“, in: Anselm Haverkamp (Hg.), Die paradoxe Metapher, Frankfurt/Main 1998, S. 197–234, bes. S. 204–221.

        

Weitere Literatur

– Jacques Derrida, „Die weiße Mythologie. Die Metapher im philosophischen Text“, in: ders., Randgänge der Philosophie, Wien 1988, S. 205–258 und 344–355.

– Paul Ricœur, „Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik“, in: Anselm Haverkamp (Hg.), Theorie der Metapher, Darmstadt 1983, S. 356–378.

– Leonard Lawlor, „The Polemic Between Ricœur and Derrida“, in: ders., Imagination and Chance. The Difference Between the Thought of Ricœur and Derrida, Albany 1992, S. 9–50.

        

Information

Ulrike Kadi, Inst. f. Philosophie, Tel.: 00 43/1/42 77-474 64 (montags), 00 43/1/710 44 60 (privat), E-Mail: ulrike.kadi@univie.ac.at